DER MÖRDER
FREILICH ändere ich die Namen meiner Helden, denn es sind oft
Geschichten, die sich einst zugetragen haben, zu meiner, meiner
Eltern & meiner Großeltern Zeiten.
Sie werden nicht alle ganz genau so gewesen sein, denn sie wurden
oft & oft erzählt - in Nüchternheit & Trunkenheit, im trauten
Gespräch, in Heimlichkeit, in aller Öffentlichkeit, von diesem &
jenem.
Jeder hat seinen Teil dazugetan, anderes weggelassen oder vergessen,
falsch verstanden, nach Gutdünken erzählt, Theater gespielt,
übertrieben, sich einen Auftritt gewährt, Gehör verschafft, die
Wahrheit wie die Unwahrheit gesagt.
Jedes Erzählen war eine neue Schöpfung, eine Gelegenheit. Der eine
oder andere mag dabei sein Talent dafür entdeckt & genützt haben und
auf diese Weise zu Ansehen gekommen sein.
Ich selbst schreibe es auf wie es in mir durch die verschiedenen,
gehörten Darstellungen über die Jahre hinweg, eingerechnet die
Erinnerung und die Vergesslichkeit, meine Geschichte geworden ist.
Kein Erzähler ist vollkommen wahrhaftig, denn jeder versucht, sein
Quäntlein beizutragen, Strafe & Gerechtigkeit widerfahren zu lassen,
Liebe & Hass in leuchtenden Farben darzustellen, auch wenn er noch
so sehr beteuert, die reine Wahrheit aufs weiße Papier zu schreiben,
nach bestem Wissen zu reden, ja, dass die Erde sich auftun möge und
ihn verschlingen, die starken Sprüche halt - wer bräuchte sie nicht
von Zeit zu Zeit?
Tatsächlich aber gab es in unserem Ort eines Tages einen richtigen
Mord, also die Tat und einen Mörder.
Oh! Nicht, dass Ereignisse mit tödlichem Ausgang nicht schon
vorgekommen gewesen wären, in alter Zeit, in ferner, fast mythischer
Vergangenheit, nein, waren auch Tote gewesen, die man gefunden
hatte, die gewiss nicht von allein in die Ewige Herrlichkeit
eingegangen sind - gar nicht zu reden von den gänzlich & gründlich
Verschwundenen - nie Gefundenen, die sich quasi in Luft aufgelöst
hatten oder in den Himmel aufgefahren waren, die im Gebirge
Verlorengegangenen, oder die, welche das Tal in Richtung auswärts
verlassen, sich in die Tiefe gestürzt oder selbst zu Tode gebracht
hatten.
Nicht die Gerippe längst vergessener Toter, die man oben gesehen
hatte, wo die Bäume seltener werden, sich fast ganz verlieren, wenn
der Baum vom Blitz gefällt, herunter krachte, entzwei brach, in
Flammen aufging - jene Erhängten, deren Skelette von Wanderern
gesichtet wurden oder durch die Rauh- & Winternächte geisterten, zu
gewissen & ungewissen Zeiten umgingen, an die Fenster der Berghöfe
klopften, in Almhütten überwinterten, einem Holzknecht begegneten
bei Einbruch der Dunkelheit, in der Morgendämmerung noch
herumstrawanzten und die Leute und das Vieh erschreckten.
Schließlich hatte es immer Auseinandersetzungen gegeben, von denen
keiner etwas wusste oder wissen wollte, heimliche Duelle, nicht in
aristokratischer Manier mit Adjutanten und öffentlicher
Satisfaktion, aber auf eine stumme Aufforderung hin, eine lang
getroffene Abmachung, ein bluträcherisches Ansinnen - aus
komplizierten & einfältigen Gründen trafen sich zwei an einem
stillen & einsamen Ort und machten es aus: mit dem Jagdgewehr, der
Schrotflinte, dem Taschenfeitel oder einfach mit den Fäusten.
Oft kam es nicht heraus, wurde nicht verfolgt, war eben Ehrensache.
Man ließ es gerne wie einen Selbstmord aussehen, einen Unfall.
Das Töten von Tieren nicht nur, sondern auch von Menschen hatte
Tradition, nicht dass es alle Tage, jedes Jahr vorgekommen wäre,
doch konnte mitunter sogar eine harmlose Wirtshausrauferei am
Sonntagabend tödlich enden, manchmal nicht sogleich, doch in der
Folge: wenn das Opfer oder der Schwächere derartig zugerichtet,
nicht mehr nach Hause fand, ohne Bewusstsein liegenblieb, danach
erfror, an unterlassener Hilfeleistung starb.
Wenn man sich davonmachte, nichts gesehen und gehört haben wollte
oder klar geworden war, dass nichts mehr zu machen ist, dass der
Stoß, der Stich gesessen hatte, der Kopf im Blut liegen blieb, wenn
der Verletzte auf dem Heimweg in einen Graben stürzte oder sich
sonst wie zu Tode stolperte.
Der Tod aber, um den es hier geht, war ein Mord, also etwas von
bisher nicht gekannter Beschaffenheit.
Es war ein seit längerem in Gedanken vorbereitetes Ereignis, ein
Kalkül, etwas über eine Generation hinweg, das einen Alten und einen
Jungen zweier Familien anging, davon niemand eine Ahnung hatte, am
allerwenigsten das Opfer.
Nichts, das zwei miteinander ausmachten, das ihr grausiges &
persönliches Geheimnis war, sondern eine alte Geschichte zwischen
dem Mörder und dem Vater des Getöteten.
Die Sache auf dem Tanzboden lag an die fünfundzwanzig Jahre zurück.
Damals hatte alles angefangen, das mit dem Kainzbauern, Erbe eines
großen Hofes, einziger Bub unter sieben Schwestern, ein Draufgänger
nicht in Weibersachen nur, sondern ein überaus gescheiter Bursche.
Einer, der aufgrund seiner Klugheit, seiner schnellen Auffassung,
seiner Belesenheit zu den Angesehenen des Ortes gehörte.
War einer, den man fragte, der Dinge benennen, berechnen,
einschätzen konnte, der zurate gezogen wurde, wo andere nicht
weiterwussten.
Schon in der Schule ist er immer aufgefallen, einer der Besten
gewesen von Anfang an, sodass seine Anwesenheit dort bald
überflüssig für ihn war.
Er übersprang ganze Klassen, brauchte sich erst am Ende des
Schuljahres zu einer Prüfung anschauen lassen, die er mit
Leichtigkeit & Herablassung hinter sich brachte.
Unter dem Jahr blieb er daheim, baute Maschinen, eine
Materialseilbahn für den Berghof, schnitzte und berechnete, bastelte
und tüftelte, las Bücher & Zeitungen.
Als er in das Alter kam, wo die Mädchen anfingen, interessant zu
werden, kauften ihm seine Eltern nicht nur ein Motorrad, sondern
auch ein Auto.
Er gehörte zu den ersten Einheimischen, die so etwas besaßen, auf
jeden Fall war er der erste, der beides gleich mit achtzehn hatte.
Ab jetzt sah & hörte man entweder das eine oder das andere das ganze
Tal entlangfahren, hinauf & hinunter, hinein & hinaus, und jeder
wusste, dass es nur dem Kainzbauern sein Sohn sein konnte.
Der Bauernbub trug die besten Anzüge, die schönsten Hüte, die
teuersten Schuhe, sah etwas gleich, wie man so sagte, hatte seinen
Auftritt, obwohl er von Haus aus nicht besonders hübsch war. Doch
wie es ist, zählen die Äußerlichkeiten, beeindruckt die anderen am
meisten, was den Reichtum zum Ausdruck bringt. Davor gehen sie in
die Knie, dafür haben sie Respekt.
Schönheit & Klugheit allein sind noch lange nichts, und müsste sich
einer entscheiden, es würde immer das Geld das Rennen machen.
In Wahrheit gab es einige seines Alters, die es in gar nichts mit
ihm aufnehmen konnten, außer dass sie auch ohne jene Aufmachung
etwas gleich schauten und den Mädchen durchaus gefielen.
Sie besaßen oft keine Höfe, hatten auf lange hinaus auch keine in
Aussicht, waren Knechte, Tagelöhner, Arbeiter, Handwerker.
Einer von ihnen war der SEPP vom Laimerbauern, der auf dem Hof
seines Bruders Knecht war, daneben allerhand Reparaturen für andere
erledigte, und wenn er auch nicht so außerordentlich gescheit wie
der andere war, so hatte er doch Geschick für dieses & jenes, war
ein lustiges, pfiffiges Haus, das Ziehharmonika spielte auf allen
möglichen Zusammenkünften, und der, wenn man nachts am
Laimerbauernhof vorbeiging, nicht zu überhören war, denn dieser Sepp
unterhielt das Gesinde am Hof oder hockte allein auf einem Stein und
dudelte vor sich hin.
Überhaupt besaß er noch andere Vorzüge, die lockigsten blonden Haare
zum Beispiel, eine dunkle sonnverbrannte Haut, eine drahtige Figur,
ein freundliches Benehmen, ein einnehmendes Wesen, er war schöner
als der Kainzbauernbub, und er hatte noch etwas, was der andere
nicht hatte: er konnte eben mit der Ziehharmonika umgehen.
Schon als kleiner Bub hatte er den Fotzhobel gespielt wie kein
anderer in seinem Alter. Zur Firmung schenkte ihm der Göd keine Uhr
wie es sonst der Brauch war, sondern eine riesengroße
Steirisch-Diatonische.
Haggott Sakkra, hat es rundherum geheißen, schon als er sie das
erste Mal hin- & herriss, und so war es geblieben.
Später freilich vervollkommnete er die Töne, die Haltung, wenn er
sich zurücklegte und sie auseinanderbog, wenn es wie aus einem
Zigeunerinnenrock rot & golden hervorblitzte, wenn er sie
zusammenquetschte, seine Zugin, sie umarmte und sich über sie legte,
dann entlockte er ihr die hinreißendste Musik.
Sie waren ein Paar, er & sie, diese wunderschöne fügsame Braut, die
er liebte und herzte in aller Öffentlichkeit, unter der er mit
geschlossenen Augen lag, wenn er sie über sich kommen ließ.
Er spielte sie liegend auf dem Boden, und so mancher mochte es
anzüglich finden, was er mit ihr aufführte, ihn aber auch beneiden
um dieses Verhältnis.
Er konnte laut & (auf)reißerisch spielen, aber auch, was wenige auf
diesem Instrument beherrschten, leise & melancholisch, in einer
süßen Manier, dass es einem anderen die Tränen in die Augen trieb.
Da durfte kein Glas Wein daneben stehen, sonst wurde es ihnen leicht
zu viel, und sie plärrten sich an, überwältigt vom Schmerz, der
Erinnerung, der Sehnsucht, versanken in ihren Träumen, verloren nach
& nach den Verstand.
Der Sepp mit seiner Zugin machte sie auf, die harten verstockten
Bauern, da konnten sie sich am nächsten Tag noch so schämen, ihr
Nasenwasser und die Zähren, wie sie ihre Tränen nannten, widerrufen,
abstreiten, einem anderen anhängen, es ging ihnen allen gleich.
Es war schon so, dass er zuerst flott & frech zum Tanz aufspielte,
dass der Tanzboden wie von selber wogte & hüpfte, sich drehte,
einzeln und als ganzes, doch zu vorgerückter Stunde, gegen Ende des
Festes, einer Hochzeit, wenn die Brautleute weg waren,
hinausmusiziert, da zog er sein letztes & bestes Register. Dann
rückten sie zusammen, saßen über den letzten Tropfen, gönnten sich
noch ein Glaserl, fingen das Mitsingen & -summen an, mit glasigen
Augen, ja es konnten die größten Streithanseln nebeneinander sitzen
und nichts anderes tun, als sich umarmen und in aller Herzlichkeit
zunicken.
Dann erstanden sie auf - die alten Tage, die Ministrantenzeiten, als
noch alles in Ordnung gewesen war zwischen den späteren Gegnern, als
sie noch gemeinsam den Tabernakel beweihräuchert, in der Schule
voneinander abgeschrieben hatten, noch später die
Kriegskameradschaft hinzugekommen war.
Und obwohl sie draußen in Hallein oder in Salzburg drunten schon
gegeneinander prozessierten um einen halben Meter Grund, einen
Rehbock, einen einzigen Baum im Wald, ein paar Forellen, eine
läppische Behauptung eines dritten, die gekränkte Ehre, ein falsches
Wort, Dinge, die man quasi mit dem Hof übernommen hatte, die man
weitergeben würde in alle Ewigkeit, saßen sie nun in Eintracht
beieinander & fühlten sich tief verbunden.
Wäre einer hergegangen und hätte sie auf ihre höchstpersönliche
Feindschaft aufmerksam gemacht, so wären gewiss beide auf den armen
Deppen losgegangen und hätten ihm gehörig in den Arsch getreten, ihm
eins über den Schädel gezogen.
Man war jetzt der Ansicht, ist eh' alles wegen der Weiber, dass man
streiten & kämpfen muss als Mann, der man ist. Kruzitirkn &
Sakrament, Teifi eini. Der Sepp spielte sich in ihre Herzen, hatte
Macht über sie.
Weit über die Sperrstunde hinaus blieben sie da, teilweise
eingeschlafen, teilweise singend, und der Dorfgendarm von Adnet
drüben hatte längst seine Runde beendet, sein Fahrrad neben die Tür
gelehnt beim Krisplwirt oben und sich dazugesetzt, war ein Mensch
wie sie geworden, in seinen Gedanken versunken.
Da hatten ihn seine Vorgesetzten von weiß Gott woher nach weiß Gott
wohin versetzt, damit er nicht gemeinsame Sache macht mit den
Verwandten & Bekannten, doch was nützte es! Am Ende hätten sie einen
jeden belassen können, wo er vom Himmel gefallen war, denn ein jeder
hatte Frau & Kinder, brauchte seinerseits die Leute und die ganze
Wohlgesonnenheit.
Der Sepp war es, der alle zusammenführte & zusammenhielt, die
benachbarten Gemeinden eingemeindete, er war der Glücksfall aller
Zeiten, sie steckten ihm Geld zu, verlockende Angebote, sie fingen
an, ihn zu brauchen, ihn gern zu haben, er war ihr Orchester, ihr
Wanderkino, ihr Wirtshaus- & Hofmusikant, der ihnen die Sterne vom
Himmel holte, den Teufel austrieb.
Zuerst spielte er bei kleinen Haus- & Hoffesten, auf Taufen,
Hofübergaben, Almabtrieben, Geburtstagen, schließlich zu kirchlichen
Anlässen, Hochzeiten, Jubiläen, am Ende luden ihn sogar andere
Ortschaften ein.
Mit seiner Ziehharmonika ersetzte er mühelos ein ganzes Ensemble,
bestritt einen fröhlichen Abend nach dem anderen, erweiterte sein
Angebot, holte sich Rat & Hilfe in Hallein, in Salzburg, sodass das
Spielen & Singen sein Leben & Lebensunterhalt wurden.
Natürlich war er so der Schwarm der jungen Mädchen, besaß bald auch
ein Motorrad, einen Beiwagen für sein Instrument, eine Lederjacke,
schneidige Gewänder in allen Sorten für seine Auftritte, denn das
alles gehörte jetzt gewissermaßen zu seinem Beruf.
Immer gut aufgelegt und schön angezogen war er quasi an allen
feierlichen Orten zugange, wurde mit Unterhaltung & Musik, mit
Tänzen & Festen in Zusammenhang gebracht; wo der Sepp auftauchte, da
ging es lustig her, da war etwas los.
Der Kainzbauern-Lois & der Laimerbauern-Sepp waren gleich alt,
derselbe Jahrgang, wie man so sagte, hatten immer wieder persönlich
miteinander zu tun gehabt, denselben Erstkommunionstag, denselben
Firmungstag, denselben Einberufungstag zum Militär, und da sie beide
wieder so ziemlich gleichzeitig auf Brautschau waren und die Welt
der Unterhaltung noch recht klein war, liefen sie sich immer wieder
über den Weg.
Während die Mädchen schamhaft & schamlos kamen, um sich den Sepp
anzuschauen, ihm zuzuhören, sich zu seiner Musik verträumt
aufführten, in Stimmung bringen ließen oder ihn einfach bewunderten,
gerieten andere in den Hintergrund.
Wo & wann konnte eine das noch, außer im Kino in aller Dunkelheit &
Seltenheit, als Frau damals? Welchen Grund hätte es sonst geben
können, seine Augen an einem Mann weiden zu dürfen wie der Sepp
einer war?!
Ja, die Stars im Film, gewiss, aber waren sie vielleicht aus Fleisch
& Blut, etwas anderes als eine Schein- & Glitzerwelt, die nirgends
existierte und am Ende oder schon bei Stromausfall in sich
zusammenbrach?
Wenn das Licht anging, saß man da und fand nicht sogleich zurück in
die gefühlsarme & raue Bauernwelt, wo es keine öffentlichen und kaum
geheime Zärtlichkeiten gab, wo die Mädchen arbeiten mussten auf dem
Feld, dem Acker, im Stall, schwielige, schmutzige Hände & Füße
hatten, keine Männer kannten, die ausschauten wie auf der Leinwand.
Mädchen, die Jahr & Tag Kühe molken, Schafe scherten, Holz hackten,
Erdäpfel setzten, ein einziges Sonntagsgewand besaßen, das sie
schonen mussten und nach der Heiligen Messe am Sonntag schnell
auszogen, um nach dieser Feierstunde für die nächsten sechs Tage in
den Arbeitskittel zu schlüpfen.
Beim Sepp brauchte sich keine zu schämen, er war keiner von den
gewöhnlichen Burschen, die sich lustig machten über die
unverheirateten Mädchen, wie es sonst der Brauch war.
Er brauchte keine mehrdeutigen Gesten oder Sprüche, keine Anmacherei
den Dirndln gegenüber, sein Instrument, sein Können gaben ihm alles.
Die Angebereien & Gemeinheiten der anderen interessierten ihn nicht,
er wusste vielleicht ganz genau, dass ihm das nur zugute kam, er
hatte nur zu spielen, und die Augen & Herzen der Jungen wie der
Alten flogen ihm zu.
Er war in keine Raufereien verwickelt, denn während die anderen
stänkerten und Finger hakelten, sich die Zähne einschlugen, wie die
Tiere gegeneinander rannten, ging er auf dem Tanzboden umher, saß
auf der Tribüne, spielte Auge in Auge mit der & der, mit dem & dem.
Der Sepp wurde zum Liebling, zum Künstler, trotzdem war er einer von
ihnen, keiner hätte etwas über ihn kommen lassen, schließlich gab es
niemanden mehr, der ihn nicht gern als Mann, als Schwiegersohn, als
Schwager oder Onkel gehabt hätte. Das wusste er, ließ sich Zeit und
sich & den anderen alle Gedanken & Wünsche offen.
Derweil taten sich Verhältnisse auf, ging der zu jener ans Fenster,
die mit dem nach Hause, tanzte man zwanglos und absichtlich
miteinander, verhandelte dort & da, übergab im Hintergrund die Höfe,
um vorne die Weichen zu stellen, dem Heiraten Tür & Tor zu öffnen,
dem Turteln im Geheimen eine Aussicht zu bieten.
So kam es, dass dem Kainzbauern-Lois nun auch der elterliche Hof
gehörte, seine Schwestern unter die Haube gebracht wurden oder zur
Arbeit am Hof eingeteilt waren und er der Schnaidbauern-Liesi, der
reichsten Partie des ganzen Gebietes, seine Aufwartung machen
konnte.
Diese Liesi war nicht nur die einzige Tochter, sondern das einzige
Kind, ihr um einige Jahre jüngerer Bruder, war an einer seltenen
Krankheit gestorben.
Die Eltern waren nicht mehr jung und bereits gebrechlich, drängten
die Liesi zum Heiraten.
Die aber war eine, die keine Ahnung haben wollte von irgendwas,
nicht vom Heiraten mit all der Plage, die sie zu Hause gesehen
hatte, dem tagaus tagein dahingehenden Leben, der Sorge um Haus &
Hof, um Vieh & Gesinde. Das Kinderkriegen & Kinderhaben, ach Gott,
was brauchte sie das jetzt, wo sie jung war & allein und tun &
lassen zu können glaubte, was ihr gefiel!
Sie gehörte zu denen, die dem Sepp geradezu nachliefen, ihn verliebt
angafften, die Augen verdrehten, wenn sie ihn sahen, ja fast in
Ohnmacht fielen, wenn die Rede auf ihn kam.
Indessen war sie eine von denen, auf die man schaute, die ein jeder
lieber heute als morgen geheiratet hätte, ganz egal, ob er arm oder
reich war. Am besten, so dachte man, wäre es überhaupt, es gelänge
einem, sie zu schwängern, denn dann müsste sie einen quasi nehmen!
Die Armen sahen in einer derart Betuchten ihre Rettung, die Reichen
den Reichtum, der den ihren mit einem Schlag vermehren könnte, wer
hätte also keinen Grund gehabt, ihr Anträge & Erklärungen zu machen!
Sie selbst gefiel sich in dieser Rolle, auf diese Weise wurde sie
mitgenommen, heimgefahren, zum Essen & Trinken eingeladen, auf den
Tanzboden geführt.
Dann sah man sie auf einmal immer in Begleitung des
Kainzbauern-Lois, die meisten hatten das begriffen und sich schweren
Herzens damit abgefunden.
Auch ihren Eltern war das nicht entgangen, sie machten sie darauf
aufmerksam, dass sie sich mit dem wiederholten Gesehenwerden in
Gesellschaft des Kainzbauernbuben so gut wie entschieden hatte, dass
von nun an alles seine Ordnung haben müsse, sie sich nicht gestatten
dürfe, sich ohne weiteres und ohne Grund von ihrem Burschen
abzuwenden und dass man sich Gedanken machen sollte, dieses
Liebesverhältnis offiziell einzugehen, sozusagen eine Verlobung,
eine Hochzeit in Betracht zu ziehen beginnen müsse.
Zwar ist am Tag der Eröffnung solcher Aussichten der Liesi - obwohl
schon fünfundzwanzig, in Wirklichkeit mit ihrer ganzen Gescheitheit
aber etwas zwischen sechzehn & achtzehn, wie man so sagt - alles
hinuntergefallen, das Herz in die Hose gerutscht, der Schreck in die
Glieder gefahren, doch als diese Art Elternbesprechung ein paar
Stunden hinter ihr lag, mehr & mehr in die Ferne rückte, in die
Vergangenheit überging, fand sie ihren alten Leichtsinn sofort
wieder. Rechnete es dem Altsein ihrer beiden Eltern zu, dass sie
meinten, so mit ihr reden zu müssen, fasste sich, ließ das Plärren
sein, setzte wieder ihren Trotzkopf auf und hielt sich alles offen.
Einige Rechtfertigungssprüche legte sie sich für alle Fälle bereit,
ging vor dem Spiegel auf & ab, machte ein freches Gesicht und war
nicht mehr oder wieder nicht der Meinung, dass sie nur, weil sie
vier, fünf oder zehnmal mit dem Lois aus gewesen war, sich hatte
freihalten lassen, mit ihm gekuschelt & gebusselt und sonst noch was
hatte, dass sie deswegen mit ihm in alle Ewigkeit zusammen sein
müsse, oder wie?
Und, wer weiß, womöglich blieb ihr eh' nichts anderes übrig, als so
jemanden am Ende doch zu heiraten.
Als ihre Schulfreundin, die Reitbauern-Mali & der Oberwinkel-Hiasei
ihren Hochzeitstag feierten und die Liesi das Brautdirndl sein und
die Büscherl anstecken durfte, und als wäre das nicht genug, in
einem Gewand dastand, das die Braut fast in den Schatten stellte,
mit einem Kranz im Haar, einer goldenen Kette vom Lois um den Hals,
da wussten es alle und wurde es nicht mehr hinter vorgehaltener
Hand, sondern laut & deutlich gesagt, ja behauptet und gewettet,
dass die Liesi & der Lois das nächste Brautpaar sein werden.
Selbstverständlich war der Sepp auch da, eingeladen, als Musikant
nicht nur, sondern auch privat. Der hatte inzwischen eine Gruppe von
Musikern um sich geschart, eine Truppe gegründet, spielte nicht mehr
immer nur allein, wollte sich diesmal auch unter die Leute mischen,
selbst ein Gast sein, nur ab & zu die Zugin nehmen und einen
Besonderen spielen, sozusagen einen Persön-lichen, einen Landler,
einen Schottischen, ein Lied für das Brautpaar, die Brauteltern und
sich selber mit jemandem auf dem Tanzboden drehen.
Oh, er war noch immer nicht reich, nichts von der Art eines
Kainzbauern, einer Liesi, aber er war das, was jedes Mädchen, jede
verheiratete Frau, abzüglich aller Macht und allen Geldes ihres
Mannes immer & wirklich bei sich im Bett haben wollte.
Denn, wenn sie auch die Reicheren ehelichten, heiraten mussten, im
Innersten hätten sie am liebsten einen Sepp bei sich liegen gehabt,
und oft genug hat sich eine "währenddessen" einen anderen
vorgestellt.
Es war schon so, dass wenn es darauf ankam, man lieber vernünftig
und den Eltern gehorsam war und einen Hoferben nahm, der einem
Sicherheit gab und Ansehen und nicht den, den man gern gehabt hätte,
der oft genug ein Mann war, wie man ihn sich ausgemalt hatte schon
als kleines Dirndl, der aber meistens nichts besaß, und wer wollte
für die Liebe schon das Elend heiraten.
So geschah es, dass die Liesi mit dem Lois auf dem Tanzboden war und
der Sepp mit einer anderen, und jeder sah, dass die Liesi mit den
Augen beim Sepp anstatt bei ihrem Tänzer weilte.
Es kam deswegen noch während des Tanzes zu einem Streit zwischen dem
Paar.
Es musste ihr der Wein in den Kopf gestiegen sein, das Blut in den
Bauch geschossen, jedenfalls, als der Tanz zu Ende war und der Sepp
sein Mädchen an den Tisch zurückgebracht hatte, es ordentlich neben
seine Eltern gesetzt, bat die Liesi gegen alle Regeln des
bäuerlichen Tanzes, gegen allen Anstand sogar, den Sepp um den
nächsten Tanz.
Der ließ sich das nicht zwei Mal sagen, bestellte bei seinen
Musikern einen Walzer, und obwohl zu Anfang alle tanzten, blieben
bald nur noch der Sepp und die Liesi übrig.
Die Gäste staunten über die Virtuosität des Tänzers, die
Leichtigkeit & Bestimmtheit, mit der er sie führte, die
Zärtlichkeit, mit der sie ineinander versanken.
Sie drehten sich vor den Augen der Gemeinde, des Pfarrers, der Alten
& Jungen in vollkommener Harmonie.
Niemand hatte je so einen schönen Tanz, ein so herrliches Paar
gesehen, nicht in dieser Gegend, nicht von Angesicht zu Angesicht.
Was dann geschah, konnte später keiner mehr sagen, vielmehr erzählte
es jeder anders, ja man hätte meinen können, man hätte etwas
Verschiedenes gesehen, so als wären es mehrere Veranstaltungen
nebeneinander oder nacheinander gewesen und zusammengeflossen in ein
großes unbegreifliches, beinahe mythisches Ereignis.
Ja, es war so, dass sich nicht nur die Hauptpersonen in die Haare
gerieten, sondern sogar die, die es nur erzählten, späterhin sogar
jene, die gar nichts selber wussten, außer, was sie von anderen
gehört hatten.
Sie bezichtigten einander der Lüge, der Wortverdrehung, spekulierten
und verwirrten, schworen und widerriefen, erfanden und schmückten
die Szene mit Girlanden, Glühbirnen, mit Spitzen & Strumpfbändern.
Es entstand ein Theaterstück, an dem jeder mitarbeitete, Regie
führte, besetzte und umbesetzte je nach Abend & Publikum,
verschiedene Vorstellungen & Variationen gab.
Einigkeit herrschte später nur darüber, dass der Sepp an jenem Abend
auf einmal umringt, abgedrängt in einen Kreis von Männern gezwängt
und aus dem Saal geschoben wurde.
Wie auf ein geheimes Kommando hin geschah dasselbe mit ihr, die sich
danach, weiß nicht wie, umgeben von Mädchen & Frauen, am Tisch
wieder fand.
Sie ahnte wohl, dass in diesen Augenblicken etwas im Gange war, dass
man sie vor etwas bewahren wollte, ihr sozusagen wie einem kleinen
Kind die Augen zuhielt, während etwas ablief, was sie nicht sehen
sollte.
Die Männer hatten sich derweil draußen auf dem Platz vor dem
Wirtshaus versammelt, beobachteten das Schauspiel, waren im Begriff
Zeugen zu werden, von einer Handlung, die sie später nicht
wiederzugeben im Stande waren.
Der Lois forderte gedemütigt und voller Zorn Genugtuung,
Wiedergutmachung, Rache.
Der Sepp hatte ihn, so meinte er, vor der ganzen Ortschaft zum
Hahnrei gemacht, nicht dem Lois nur, sondern auch allen anderen
gezeigt, was unter einem Tanz mit einem Mädchen zu verstehen sei.
Keiner hatte je, wie sie fanden, auf diese herausfordernde Art
getanzt, noch dazu mit einem Dirndl, das einem anderen quasi
versprochen war.
Keiner würde mehr danach seine Tänzerin auf die althergebrachte
ruppige Manier vom Tisch wegreißen und sich mit ihr drehen können,
wie er's gerade verstand & vermochte.
Was dies betraf, war eine neue Zeit angebrochen. Einer aus den
eigenen Reihen zeigte es ihnen, war er ein Filmstar oder was, dass
er sich so gespreizt & gestenzt aufführte!
Wusste er denn nicht, wer er war, woher er kam, welch' niedrigen
Rang er einnahm unter den Anwesenden, den großkopferten & bauchigen
Bauern & Hofherren unter ihnen! Hatte er vergessen, wer hier die
Hosen anhatte, wer bestimmte & zahlte!
Alle hatten gesehen, dass man sogar das Tanzen können sollte &
müsste, es darin offenbar eine Meisterschaft geben konnte, die sie
alle zu Hupfern & Stümpern machte, zu Schauern & Gaffern.
Der Künstler, zu dem sie ihn gemacht hatten, war selbständig & frech
geworden, hatte ihnen den Spiegel vorgehalten wie einst der Hofnarr
der feinen Gesellschaft. Eine Unerhörtheit, die nicht sein durfte,
die es nie gegeben hatte, die abgeschafft gehört auf der Stelle, so
wahr ich der & der bin, so wahr mir der Wald da oben gehört, bei
meinem Gamsbart & Sechzehnender, bei meinem Erbhof, bei der
Dreifaltigkeit, das werden wir noch sehen!
Hin- & Hergeschrei, dies & das, Öl in das Feuer, betrunkenes Gefasel
von gestohlener Ehre, die Männerschaft rückte aus & zusammen, ging
auf die Jagd.
Jedoch der kunstvolle Tanz war nur die eine Seite, die andere - die
andere - etwas viel Schwerwiegenderes, etwas, das sich nicht
wegdenken ließ, nicht aussprechen, das aber jeder sofort gewahrt
hatte.
War nicht einmal Dreistigkeit, keine Schneid, was beides in
Burschen- & Männerkreisen als ehrenhaft & männlich galt, es war
etwas Größeres im Spiel, etwas, das man nicht so leicht sein Eigen
nannte, das sich nicht kaufen ließ, nicht anheiraten, nicht
herbeireden, etwas Seltenes, eine Himmelgnade.
Es war die Liebe, das große unaussprechliche Wort, dem der Reichtum
nicht gleichkam, der Besitz, der goldene Herrgottswinkel, das
marmornerne Bild.
Es war das Geheimnis, das es ganz selten zwischen zweien gab, etwas,
woraus die alten Geschichten waren, das allem zugrunde lag, wie es
hieß, und dereinst über alles siegen wird, nicht erzwungen & erfleht
werden kann.
Zum ersten Mal hatten sie so ein Paar miteinander tanzen gesehen;
zum ersten Mal war es während eines Rituals geschehen, das
eigentlich die Liebe zum Inhalt hat, dass sich zwei Seelen, zwei
Körper, zwei Menschen, ein Mann und eine Frau vor aller Augen,
ineinander verliebt hatten.
Es war ihnen unmöglich gewesen, anders zu sein, wie ein dünner
Schleier hatte sich die Liebe auf ihnen quasi niedergelassen, sie
umsponnen.
Es war ein Raum um sie geworden, der die anderen zurücktreten ließ,
sich aufstellen am Rande des Paradieses, über den Zaun guckend, und
so als dürften sie nicht näher kommen, verfolgten sie staunend
dieses himmlische Schauspiel.
Vor dem Gasthaus traten sie nun gleichfalls auseinander, denn in der
Mitte standen sich der Sepp und der Lois gegenüber, es musste
ausgetragen werden, entschieden - ausgeredet war bereits.
Die Sterne für den Sepp hätten in diesem Moment nicht schlechter
stehen können, doch beinahe gelassen stellte er sich dem
Unvermeidlichen, wusste, dass er hier & heute seinen Preis zahlen
musste für das Glück, die Freude, den Himmel auf Erden.
Und wie es von sterbenden Heiligen in alten Legenden berichtet
wurde, auf Deckenfresken aufgemalt war, auf den Altären die
Glorienbilder - in der Mitte der Kirchen & Dome - erwartete auch er
fast froh dieses Martyrium, als hätten sich über ihm die Wolken
aufgetan und als könnte er schon die Ewige Herrlichkeit in der Ferne
erkennen.
Der Lois schlug auf ihn ein mit dem ganzen Männerzorn, demolierte
seine Nase, seinen Mund, sein Gesicht, das Blut sickerte und rann
aus allen Öffnungen & Wunden, er wehrte sich kaum, ja man hätte das
Gefühl haben können, dass er lächelte, beinah siegessicher dem Ende
entgegenstolperte.
Endlich blieb er liegen, die Menge zerstreute sich wieder, hatte das
Interesse rasch verloren, wo es nichts mehr zu sehen gab, ging
hinein, rief nach Bier & Schnaps & Musik, suchte mit Suff & Gaudi
das Gesehene und überhaupt die ganze Sache im Rausch zu vergessen.
Sie hielten es für erledigt, so ist immer verfahren worden, es war
nicht der Brauch, sich länger darum zu kümmern, schon gar nicht,
dass eine Frau dazwischentrat, doch genau das passierte an diesem
Tag.
Die Liesi kam aus dem Saal gelaufen, tat ihre weiße seidene Schürze
herunter, kniete sich nieder und verband den Sepp damit, half ihm
auf die Beine, und als blutverschmiertes Paar verließen sie das
Fest, und jeder musste erkennen, dass sie jetzt erst recht
zusammengehörten.
Und dass eine prächtige, eine lustige Hochzeit folgen würde, war so
gut wie beschlossen.
Die Schlägerei hatte die Sache vertieft & beschleunigt, was der Lois
zurückgewinnen, zurechtrücken wollte, hatte er verloren. Seine
goldene Kette lag abgerissen auf dem Boden im Blut des anderen.
Nicht lange nach dieser Märchenhochzeit, die den Sepp zu einem
angesehenen, wohlhabenden Bauern machte, heiratete auch der Lois,
und so glücklich die eine Ehe war, so unglücklich wurde die andere.
Der Kainzbauer konnte es nicht verwinden, er fing das Trinken an,
aus ihm wurde ein brutaler & gefühlloser Ehemann, einer zwar, von
denen es etliche gab, war ja nichts Ungewöhnliches, grob zu sein in
Bauernkreisen, doch ließ er den Zorn an seiner Frau aus.
Am Wirtshaustisch führte er das Wort, hielt die anderen frei, nur,
um sie auf seine Seite zu bringen, und wenn er in der Nacht nach
Hause kam, quälte er seine Frau auf schamlose Weise, riss sie aus
dem Bett, zwang sie, ihm frische Butternudeln herzurichten, schaute
ihr beim Teigmachen zu, schlug sie, wenn es ihm zu langsam ging.
Als sie ihm einmal eine bereits am Abend vorbereitete Pfanne voller
Nudeln hinstellte, da würgte er sie, warf das Essen auf den Boden
und zertrat es.
Erst recht musste sie ihm jetzt einen neuen Teig kneten, auswalken,
in feine Streifen schneiden, den Ofen einheizen, Wasser zum Sieden
bringen, Butter schmelzen, Käse reiben, alles wie es sich gehörte,
wie es ihm in den Sinn kam, mitten in der Nacht.
Als sie dann Kinder hatten, zog er auch sie aus den Betten, sie
mussten sich aufstellen, Fragen beantworten, die ganz Kleinen soll
er, wenn sie schrieen, an die Wand geworfen haben, eins ist danach
nicht mehr 'richtig' gewesen, hieß es.
Er begann auf die Jagd zu gehen, schoss Gämsen, Rehböcke, Hirsche,
Auerhähne, alles, was es abzuschießen gab.
Er traf die Tiere vorschriftsmäßig, genau, mit einem einzigen Schuss
mitten ins Herz.
Daheim in der Stube hingen die Gewehre, eins neben dem anderen an
den Wänden entlang, geputzt & geladen, alles auf Hochglanz.
In der Schule gehörten seine Kinder, wie einst er selbst, zu den
Besten, doch ging man ihnen aus dem Weg, man fürchtete den Vater im
Hintergrund, seinen Jähzorn, seine Unberechenbarkeit.
Es herrschte ein vollkommen geordnetes Leben auf dem Hof, die Dinge
wurden richtig & sinnvoll getan, sie waren nicht arm, die
Kainzbauernleute, doch lebten sie einsam, ohne Gäste, ohne Freunde,
es ging um nichts anderes als es dem Vater, dem Mann recht zu
machen.
Eines Tages ist das zum Krüppel geschlagene Kind dann verschwunden
gewesen. Eine eisige Stille lag über dem Haus, niemand wagte zu
fragen, doch das kommt erst viel später auf.
Die Liesi & der Sepp hatten zwei Söhne, musikalisch wie der Vater
ein jeder, freundlich, fröhlich, unterhaltsam, gern gesehene Buben
überall.
Der Jüngere studierte in Salzburg, wurde zum Priester geweiht, ging
später nach Rom, soll in den Vatikan berufen worden sein, wo er eine
hohe Stellung hatte in der kirchlichen Hierarchie, der Ältere sollte
den Hof übernehmen.
Bei irgendeiner Veranstaltung im Dorf, war es ein Kirtag oder sonst
eine Gaudi, kam es dazu, dass der Lois bei vollkommener Nüchternheit
dem Sepp drohte.
Es war gehört worden von diesem & jenem, kaum ernst genommen, nicht
einmal vom Sepp selber, denn jeder kannte ja den Jähzorn des
Kainzbauern, war keine Seltenheit so eine Äußerung, war eben nicht
gut Kirschenessen mit dem Alten.
Doch hätte einer genauer hingeschaut, hingehört, hätte er seine
Wahrnehmung auf einem besseren Stand gehabt, wäre er misstrauischer
und weniger leutselig oder einfach nicht so gleichgültig gewesen,
hätte er die Art wie & was gesagt wurde, kaum missverstehen oder
überhören können.
Denn, wie er die Worte nah an ihn gewandt mit blitzenden Augen und
besonderem Zorn, in einem fast leisen, doch umso bestimmteren Ton
gemeint hatte, konnte eigentlich niemandem entgangen sein.
Doch hört einer nur, was er hören will, und so ist es wohl zu
verstehen, dass in diesem Augenblick, und obwohl sich später jeder
daran erinnerte, keiner Verdacht schöpfte, aufhorchte, innehielt.
Dass es eine Abrechnung, einen Zahltag noch geben werde, dass er,
der Kainzbauer, etwas guthabe und keine Schulden mache und keine
Schulden dulde, dass eine größere Rechnung offen sei, dieser Art
jedenfalls waren viele Jahre später die Auskünfte, die Erinnerungen,
die Zeugenaussagen, und wenn es auch niemand genau wusste, so
stimmte doch der Eindruck, der damals zurückgeblieben ist.
Es war um eine Rechnung, eine Abrechnung, andere meinten gar, um
Geld gegangen.
Immerhin hatten sie bemerkt, dass es etwas sein musste, das nur die
zwei anging und daher ein Einmischen, ein Nachfragen überflüssig
gewesen wäre.
Aber der Kainzbauer hatte die alte Geschichte gemeint, und in
Wahrheit dürfte das jeder verstanden haben, denn auch das war eine
Sache, die nur die beiden betraf.
Ein andermal erhielten die Liesi und der Sepp einen nicht
unterzeichneten Brief mit einer Schreibmaschine geschrieben: "dich
krieg ich noch, und wenn nicht dich, dann müsst ihr alle auf der Hut
sein".
Der Liesi hatte er den Brief nicht gezeigt, doch fand sie ihn eines
Tages selbst, das Datum war so alt, dass sie ihm keine wirkliche
Bedeutung mehr beimaß.
Zwar fragte sie ihren Mann, und sie kamen beide überein, dass so ein
altes Schriftstück wohl nicht mehr recht ernst zu nehmen sei.
Der ältere Sohn war dem Sepp, wie man so sagte, aus dem Gesicht
geschnitten, genau so schneidig & frech wie einst sein Vater, war er
mit seinem kleinen Auto eines Tages, eines Abends, unterwegs.
Es ist ein Samstag, der junge Sepp dreht seine Wirtshausrunde,
nichts Unübliches, und gegen Mitternacht landet er, bereits auf dem
Heimweg, in einem der abgelegeneren Gasthäuser, dem letzten, bevor
er heimkommt, sieht noch Licht, einige Autos davor und beschließt,
hineinzugehen.
Ein Tisch voller Kartenspieler, einige Eingeschlafene, nichts
Aufregendes außer, dass der Kainzbauer darunter ist.
Der junge Sepp setzt sich, grüßt in alle Richtungen, bestellt sich
ein Bier. Der Kainzbauer nimmt ihn ins Visier, beginnt ihn
anzustarren, kriegt glänzende Augen, während der andere nichts
ahnend und fast belustigt fragt, ob etwas nicht stimme.
Daraufhin dreht der Kainzbauer dem anderen das Wort um und tut, als
hätte man ihn angestänkert, als hätte er gesagt, dass mit ihm, dem
Kainzbauern, etwas nicht stimme, wendet sich an die anderen, die bis
dahin nichts derartiges gehört hatten, bringt sie auf seine Seite.
Zwischen dem jungen Sepp und dem Lois gibt ein Wort das andere, es
kommt zu einer Auseinandersetzung, die in nichts ihre Ursache hat,
außer in etwas, das an die zwanzig, fünfundzwanzig Jahre zurückliegt
und zwischen Sepp's Vater & dem Kainzbauern war.
Als der Sepp bald daraufhin zahlt, um das Gasthaus so schnell wie
möglich zu verlassen, ohne ausgetrunken zu haben, bereits bereut,
überhaupt hineingegangen zu sein, da hat der Kainzbauer sich schon
festgebissen.
In ihm nimmt ein teuflischer Plan Gestalt an, er sieht die Stunde
für gekommen, ruft dem anderen nach: "Heute Nacht, heute Nacht,
hörst du, da bring' ich dich um!"
Es ist jene Nacht, in der das ganze Tal gegen halb zwei Uhr nachts
das Motorrad heimfahren und eine Weile später wieder hinausfahren
hört.
Es gibt kaum ein Haus, wo ihn nicht wer gehört hat, denn jeder
kannte das Motorrad des Kainzbauern, schließlich stand sein Hof weit
drinnen fast am Talschluss, wo es bereits wieder steil hinauf geht,
und wann er fort fuhr oder heimkam, wussten daher alle.
Wie Perlen standen die Höfe an der einzigen Straße aufgefädelt,
dicht oberhalb oder unterhalb, jeder Lichtschein, jedes Geräusch
wurde wahrgenommen.
Niemand benützte nachts die Straße, ohne gehört zu werden, wo der
Lärm aufhörte, die Lichter an- & ausgingen, war jemand nach Hause
gekommen.
Dass in der Mordnacht ein wieder wegfahrendes Motorrad gehört wurde,
war ungewöhnlich, dort & da dachte man, sich getäuscht zu haben,
könne wohl doch nicht das tiefe Motorgeheul des bekannten Vehikels
gewesen sein, wird eben einer einen heimgefahren haben und dieser
musste ja dann wieder zurück.
Doch dabei blieb es nicht, denn einige Höfe haben eine knappe halbe
Stunde später wieder das gleiche gehört, ein heimkehrendes Motorrad,
wieder klang es wie das erste, dann blieb es still.
Am nächsten Morgen, noch bevor der Tag begonnen hat, ist die
Nachricht des Todes von Haus zu Haus, von Tür zu Tür getragen, als
hätte der Todesengel allerorts angeklopft und persönlich die
Botschaft überbracht.
Überall brannten schon die Lichter noch zu nachtschlafener Zeit, in
den Stuben, auf den Bänken saßen die Leute wie in Agonie, sie
begriffen kein Wort, sie schüttelten die Köpfe, sie hatten
vergessen, den unbekannten Boten zu fragen, ob das die Wahrheit ist,
ein böser Traum vielleicht, der Sepp ist tot, das gibt's doch nicht,
was für ein Sepp?, der Alte oder der Junge?
Hat man doch gehört beim Fenster herein, der Junge!
Man hüllte sich in Mäntel & Decken, niemand war imstande, Feuer zu
machen, Tee zu kochen oder in den Stall zu gehen, sie hockten da und
froren, brüteten über dem Unglaublichen.
Endlich fing das Beten an, das Gee - grüßet seist du Maria, voll der
Gnaden, der Herr ist mit dir, du bist gebenedeit unter den Weibern,
und gebenedeit ist die Frucht Deines Leibes. Heilige Maria, Mutter
Gottes! Bitt' für uns arme Sünder, jetzt und in der Stunde unseres
Absterbens. Amen.
Herr erbarme dich, Christus erbarme dich, Christus höre uns,
Christus er-höre uns, gib dem verstorbenen Sepp und allen
Christgläubigen die ewige Ruhe, und das Ewige Licht leuchte ihm,
jetzt und in alle Ewigkeit. Amen.
Führe den Sepp ein in dein Reich und lass ihn noch heute bei dir im
Paradiese sein.
..., der für uns Blut geschwitzt hat,
..., der für uns der schwere Kreuz getragen hat,
..., der für uns gegeißelt ist worden,
..., der für uns mit Dornen gekrönt worden ist,
..., der für uns gekreuzigt worden ist.
Neige oh' göttliche, schmerzensreiche Jungfrau & Gottesmutter Maria
Dein Haupt in Barmherzigkeit und führe den Verstorbenen mit deinem
Sohne ein ins Himmelreich.
Als der Sepp heimgekommen war - sein Elternhaus lag Tal auswärts
oben auf einem schrägen Feld mit einem holprigen Zufahrtsweg - und
bereits zu Bett gegangen, hörte er den steilen Weg herauf ein
Motorrad, dann das Abstellen des Motors, Schritte nähern sich auf
dem Schotterweg dem Haus.
Die Höfe waren alle gleich gebaut - neben der Eingangstür links -
die Reihe der Stubenfenster, des Hauptraums des Hauses, so war es
auch hier.
Der Sepp stand im Dunkeln auf, stieg vom ersten Stock hinunter in
die Stube, neben dieser lag das Schlafzimmer der Eltern.
Die Mutter, die wegen des Wartens auf den Sohn noch nicht geschlafen
hatte, stand auf und betrat die Stube von der anderen Seite, wo der
Sepp bereits im Finsteren horchte.
Da tat sie etwas, was ihrem Sohn das Leben kostete, sie schaltete
das Licht ein.
Seine letzten Worte waren: "Schalt' das Licht aus!"
Es leuchtete nur wenige Sekunden, doch dem Kainzbauern, der draußen
die Pistole angelegt hatte, genügten sie, um den einzigen tödlichen
Schuss abzugeben, um Rache zu üben an jemandem, der ihm nichts getan
hatte, der nicht einmal ahnte, warum er sterben musste.
Der Mörder setzte sich wieder auf seine Maschine und fuhr nach
Hause. Nun hallte noch einmal das Geräusch eines Motorrades das Tal
entlang, jetzt kam er richtig heim und legte sich nieder.